Wie die meisten stecke auch ich in meiner Bubble und umgebe mich gerne mit Menschen, die ähnliche Ansichten haben und meine Werte teilen. Das ist dienlich und wichtig, weil es mein Gefühl von Zugehörigkeit stärkt und mir erlaubt, in die Tiefe zu gehen. Mindestens genau so wichtig es für mich aber, immer wieder in Kontakt mit Menschen zu kommen, die anders ticken und andere Blickwinkel auf die Welt haben.
Mir erlauben diese Begegnungen, meine eigenen Annahmen und Grundsätze infrage zu stellen, manchmal anzupassen, andere Male zu bestärken. Und in bestimmten Kontexten erlauben sie mir, Menschen meine Sicht der Dinge anzubieten, sie für Themen zu begeistern, oder zum Nachdenken anzuregen.
So geschehen auch gestern, als Motoki Tonn und ich gemeinsam mit Michael Nickel einen Workshop zum Thema “Ikigai & Kintsugi” gegeben haben, der auch die Verbindungen zur Logotherapie aufgezeigt hat. Drei Aussagen von Teilnehmenden über Sinn haben mich zum Nachdenken gebracht. Ich möchte hierzu meine Haltung ausdrücken, wiederum als Einladung genau darüber nachzudenken.
Und die Ankündigung für eine Event-Reihe, die genau daran anschließt, habe ich heute auch mitgebracht.
🔎 Aus der Theorie & Praxis
Drei Überlegungen von Workshop-Teilnehmenden (TN) zum Thema Sinn — wie ich sie einordne und warum ich sie nicht teile.
TN: “Wir brauchen keinen Sinn im Leben, um zu leben.” — Wenn wir bei “leben” an unsere rein körperliche Funktionalität im Sinne chemischer und physischer Prozesse denken, mag das unter Umständen noch gelten. Doch selbst hier zeigen Forschungsergebnisse, dass Menschen, die ihr Leben als sinnerfüllt empfinden, ein deutlich geringeres Risiko haben, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu erkranken. Interessant ist, dass diese (oder ähnliche Aussagen) so gut wie nie von Teilnehmenden kommen, die ich als besonders sinnerfüllt, emotional stabil und glücklich wahrnehme. Mir scheint, dass eine “Rechtfertigung”, warum wir keinen Sinn im Leben brauchen dann besonders groß ist, wenn kein Sinnempfinden vorhanden ist.
Wenn wir bei “leben” allerdings an ein gutes, selbstbestimmtes, aktivs Leben denken, in dem wir eigene Potenziale umsetzen und einen Beitrag zur Gesellschaft leisten, dann brauchen wir Sinn. Warum? Weil uns Sinn Kraft gibt, Energie freisetzt, glücklich macht. Und übrigens auch, weil Sinnerleben uns resilienter macht und negative Gedankenspiralen deutlich reduziert, wie eine weitere Studie zeigt.
TN: “Sinn, der aus uns heraus kommt, ist viel stärker als Sinn, der uns von außen gegeben wird.” — Ich gehe hier noch weiter: Sinn kann nicht von außen gegeben werden. Die Verwirklichung von Sinn ensteht immer in uns, kann nicht aufgezwungen werden, weder von Personen noch von Unternehmen. Gleichwohl können wir als bspw. als Führungskraft Räume und Möglichkeiten schaffen, damit Mitarbeiter darin individuell Sinn verwirklichen können. Wenn ich weiß, dass meine Mitarbeiterin neue Ideen nicht vor dem Bildschirm, sondern im kreativen Brainstorming mit Kolleginnen entwickelt (wie übrigens viele von uns..), kann ich die Räume dafür schaffen und sie einladen, genau hier und auf diese Weise ihre Potenziale zu entfalten.
TN: “Man braucht nicht viele Sinnquellen im Leben, die Ausrichtung auf den einen Sinn reicht schon.” — Hier stimme ich gleich zwei Mal nicht zu: erstens bin ich überzeugt, dass es nicht DEN einen Sinn im Leben gibt; zweitens wäre es sogar gefährlich, wenn wir nur eine Quelle von Sinn im Leben hätten. Viktor Frankl spricht selbst immer wieder von Sinn im Leben und meint damit (so mein Verständnis) Sinnerleben, was sich ganz unterschiedlich zeigen kann. Nicht umsonst hat er drei Wertekategorien entwickelt, die jeweils Möglichkeiten bereit halten, um Sinn zu finden (zum Beispiel so etwas wie an einem großen Projekt mitwirken oder auch mitten in die Natur eintauchen).
Stellen wir uns für einen Moment vor, dass wir in die Welt hinausgehen und -wirken, wie wir von einem Seeufer über einen Steg ins Wasser gehen. Wenn dieser Steg auf nur einem Pfahl steht, kann das zwar funktionieren, birgt aber immer das Risiko, ganz zu zerbrechen, wenn diesem einen Pfahl etwas passiert. Wenn dieser Steg hingegen auf vielen Pfählen steht, ist es zwar schade, aber nicht bedrohlich, wenn einer der Pfähle kaputtgeht. Genau so ist es in unserem Leben: wenn unser Alltag auf nur einem einzelnen Wert basiert (wenn also die Arbeit oder die Beziehung oder das Hobby das einzig wichtige ist) und dieser Wert wegfällt (Kündigung im Job, Verlust des Partners, schwerwiegende Krankheit), dann bricht unser Leben zusammen. Wenn wir allerdings verschiedene Werte als Quellen für Sinnerleben im Alltag haben, ist es bedauerlich, aber nicht bedrohlich, wenn einer dieser Werte wegfällt.
💬 On words
"Sinn kann nicht gegeben, sondern muß gefunden werden.” – Viktor Frankl | Der Leidende Mensch.
💎 Kunst*Fund*Gold*Stück
Lang vertraut aus gemeinsamen online Workshops, neu erlebt in unserer pesönlichen Begegnung: der Pianist (und Speaker und Gallerist) Michael Nickel. Michael schafft es immer wieder, den Raum mit Sinn und Klängen zu füllen, wenn Worte längst verklungen sind. Damit öffnet er ganz neue Räume für die Begegnung mit sich selbst und mit anderen. Enjoy!
📆 Save-the-space – Event-Reihe “Sinn am Puls der Zeit”
Was Sinn ganz konkret mit unserem Alltag zu tun hat und wie zeitgenössische Kunst oder gesellschaftliche Strömungen uns dazu inspirieren können, zeigen wir an sechs Abenden einer Event-Reihe (online). Gemeinsam mit meiner geschätzten Kollegin Susanne Grasegger von SinnSpuren bieten wir Impulse zu aktuellen Themen und Raum für Austausch untereinander. Start ist am 20.07.2023. Weitere Details und Anmeldung hier.
🧭 Zum Nachdenken und -spüren
Was bedeutet Sinn für Dich? Welches Gefühl verbindest Du mit “Sinn”?
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